
Die Rede von Maja Göpel bei der Pressekonferenz der Scientists for Future vom 12.03.2019 bringt es prägnant auf den Punkt: "Die Irreversibilität der Veränderung ökologischer Systeme in ihrer Regeneration ist, glaube ich, einfach noch nicht begriffen worden. Wenn wir diese Kipppunkte erreichen wo das Klima kippt, wo die Biodiversität kippt, wo die Ozeane kippen, dann können wir nicht einfach sagen, wir schalten diese Technologie wieder aus. Wir haben komplett veränderte Lebensgrundlagen für die Menschheit für die nächsten Generationen. Und das wird in keiner ökonomischen Kalkulation adäquat berücksichtigt. Das ist nicht mal planbar oder prognostizierbar. Und deshalb ist die Risikohierarchie in der Richtung umzudrehen. Und das World Economic Forum schreitet ja inzwischen voran, wo ich mich auch wirklich frage: wenn die CEOs und wirtschaftlichen Entscheider dieser Republik und der Welt inzwischen sagen: von den Top 6 der globalen Risiken sind 5 ökologische und das sechste: Massenvernichtungswaffen, dann ist doch einfach die Zeit vorbei, wo man darüber reden muss, ob jetzt Ökologie was kosten darf."
Auch eine aktuelle Veröffentlichung des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung bringt die Dringlichkeit der globalen Krise auf den Punkt: „Das Tempo der Erwärmung hat sich seit den 1980er-Jahren verdoppelt. Das geht aus der heute in Earth System Science Data veröffentlichten, von Fachkollegen begutachteten Aktualisierung der „Indikatoren des globalen Klimawandels“ hervor, an der das PIK mitgewirkt hat. Die Studie kommt zum Ergebnis, dass menschliche Aktivitäten in den letzten zehn Jahren jahresdurchschnittlich rund 53 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente in die Atmosphäre freigesetzt haben, vor allem durch das Verfeuern fossiler Brennstoffe und die Abholzung von Wäldern. 2024 kehrten die Emissionen des internationalen Luftverkehrs – der Sektor mit dem stärksten Emissionsrückgang während der Pandemie – auf das Niveau vor der Pandemie zurück. „Diese Trends sind in erster Linie auf fossile Brennstoffe zurückzuführen, eine geringere Rolle spielten Entwaldung, Landwirtschaft und andere Aktivitäten. Solange wir nicht auf erneuerbare und saubere Technologien umsteigen und die Landnutzung auf nachhaltige Methoden umstellen, wird die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre weiter steigen“, erklärt PIK-Autor Lamb. Wenn wir in den nächsten Jahren nicht entschlossen gegen die Emissionen vorgehen, werden die heutigen und zukünftigen Generationen mit immer stärkeren und dramatischeren Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert.“
» Wer will,
dass die Welt so bleibt wie sie ist,
der will nicht, dass sie bleibt. «
– Erich Fried
Die Klimakrise zählt zu den größten Herausforderungen, die wir weltweit zu bewältigen haben. Sie ist ein Problem der Gegenwart und der Zukunft. Die globalen Auswirkungen sind bereits heute nicht mehr zu übersehen. Dringend notwendige Bemühungen zur Reduktion der Treibhausgase rücken jedoch fortwährend in den Hintergrund – weil immer wieder ein neues, drängenderes Problem zu lösen ist. Das menschliche Gehirn ist darüber hinaus sehr gut darin, unangenehme Themen auszublenden, auch wenn ein solches Verhalten irrational ist. Dass die Menschheit aussterben kann, ist für viele eine Gefahr, die trotz der Klimakrise nicht besonders real und schon gar nicht akut erscheint. Die Gegenwart wirkt erschreckend genug. Der Effekt der Abnutzung spielt ebenfalls eine Rolle. Wir sind der immer neuen oder wiederkehrenden Katastrophenmeldungen müde. Dies führt zu einer Gewöhnung, auch an die größten Übel unserer Zeit. Denn Superlative nutzen sich ab. Wer ständig mit Begriffen wie »Katastrophe«, »Jahrhunderthochwasser« oder »heißester Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen« bombardiert wird, der hört irgendwann nicht mehr zu. Man ist gesättigt. Darüber hinaus ist die Klimakrise oft der weiße Elefant im Raum, den niemand sehen will. Vom Wegschauen hat sich aber noch selten ein Problem gelöst. Denn die Krise ist die zentrale Bedrohung des künftigen Wohlstands. Dennoch wird ihr immer noch nicht die erforderliche Aufmerksamkeit zuteil.
Ja klar, Klimaschutz ist wichtig, aber wir haben doch wohl gerade drängendere Probleme!
… hört man allenthalben. Natürlich ist dieses Problem bei weitem nicht das einzige wichtige Top-Thema, aber es beeinflusst und verschlimmert viele andere im kausalen Zusammenhang. Wir verstehen immer mehr das Zusammenspiel und die Wechselwirkungen von Klimaveränderungen und anderen Bereichen, wie etwa der Biodiversität, der Nahrungsmittelproduktion oder auch der Ökonomie. Wenn die Wirtschaft unter den Folgen des Klimawandels leidet, hier in Deutschland oder weltweit, dann werden heute übliche Diskussionen über den Finanzhaushalt nur noch eine Fußnote sein. Bereits heute verursachen die notwendigen Reparaturleistungen der vielfältigen Folgen des Klimawandels ökonomische Schäden in Milliardenhöhe.
»Delay is the new denial«, könnte man unterstellen, doch die Erderwärmung duldet keinen Aufschub. »Morgen morgen nur nicht heute« – das Resultat unserer gegenwärtigen Handlungsstarre, begründet aus der Angst vor Verlust von Status und Privilegien heute, wird rücksichtslos morgigen Generationen aufgebürdet. Die Vorstellung, dass wir bloß darauf zu warten brauchen, bis der Markt die richtigen Technologien zur Lösung der Erderwärmung entwickelt, und die uns dann zeitnah retten, das ist Wunschdenken. Neue Techniken tauchen nicht einfach aus dem Nichts auf und vermögen dann zeitgerecht unsere Probleme zu lösen. Die Geschichte stützt diese Annahme in keiner Weise. Wenn es darum geht, eine möglichst wirkungsvolle Strategie zur Bewältigung der globalen Klimakrise zu entwickeln, sollte es der unmittelbar erste Schritt sein, die evidente Realität zu analysieren, die zum gegenwärtigen Desaster geführt hat. Dabei ist es wichtig, emotionslos, objektiv und ehrlich hinzuschauen, was die verschiedenen Gründe sind, weswegen wir, wider besseres Wissen, immer noch auf die Wand zufahren, und statt energisch zu bremsen, sogar noch weiter beschleunigen. Denn wir alle kennen die Ursachen der Erderwärmung, und den kausalen Zusammenhang zu unserem Konsum, zu einem beträchtlichen Teil. Es ist daher essentiell zu verstehen, wie wir in diese missliche Lage geraten sind, in der wir uns heute befinden. Geschichte kann in diesem Fall ein hilfreiches Mittel zur Diagnose sein und Hinweise liefern, um das Problem in der Gegenwart, im Interesse einer besseren Zukunft, zu beheben. Dazu müssen wir analysieren, wie es entstanden ist und warum wir als Gesellschaft so schwach reagiert haben auf die Informationen, die uns die Wissenschaftler seit langem geben. Denn dass es den Treibhauseffekt mit all seinen problematischen Auswirkungen gibt, ist hinlänglich bekannt. Dass wir aber heute noch so viel mehr über das Problem wissen, und dennoch so wenig dagegen unternehmen, ist fatal.
Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe!
Wir Bürger sehen oftmals die Politik in der Verantwortung, den Klimawandel rechtzeitig zu managen, und die Pflicht auf Seite der Industrie, ihre Emissionen zu senken. Diese Denke ist leicht nachzuvollziehen, denn schließlich kommen aus deren Schornsteinen, in erheblichem Maße, die klimaschädlichen Emissionen. Und unsere gewählten Volksvertreter werden sich doch wohl gewiss ihres Mandats bewusst sein, und durch weitsichtige und wirkungsvolle Gesetze, insbesondere auch im Sinne künftiger Generationen, einen für uns alle bewohnbaren Planeten garantieren – so meint man. Diese Sichtweisen greifen allerdings leider viel zu kurz, denn sie übersehen entscheidende systemische und menschliche Faktoren, die dem entgegenstehen. Denn zum einen produziert die Industrie nicht zu ihrem Selbstzweck, sondern letztendlich und ausschließlich für unser aller Konsum. Und weiterhin ist ihr vorrangiges Interesse Wachstum und Profit, und nicht Klimaschutz. Zum anderen sollte uns aber auch bewusst sein, dass Politik vorwiegend in Legislaturperioden und parteipolitischem Kalkül denkt und daher auf Massenzustimmung aus ist, um den Machterhalt bei der nächsten Wahl sicherzustellen, was wiederum zu einem entscheidenden Teil auch von einer florierenden Wirtschaft abhängt. Ein Teufelskreis aus der Verflechtung unterschiedlicher Zielkonflikte, zwischen ökologischem Bewusstsein und ökonomischen Zwängen, der Diffusion von Verantwortung, und ein Zwiespalt zwischen Eigennutz und Moral. Denn was für die Allgemeinheit einen Nutzen stiftet, ist für uns selbst oft mit persönlichen Einschränkungen verbunden, die wir aber leider oft nicht bereit sind in Kauf zu nehmen.
Klimaschutz darf deshalb nicht der Freiwilligkeit des Einzelnen, der Industrie, oder den Regierungen von Staaten überlassen werden. Stattdessen brauchen wir ein wirkungsvolles Klimakonzept, welches das Steuerungspotential und die Verantwortung für Klimaschutz KOMPLETT in die Hände ALLER Konsumenten legt.
Die Zeit läuft ab
Dabei ist der Faktor Zeit in der Debatte um den Klimawandel von besonders drastischer Bedeutung. „Die Zeit läuft ab“ ist nicht bloß eine Floskel, sondern beklemmende Realität geworden, die sich in jedem Hitzerekord, jeder Überschwemmung und jedem schmelzenden Gletscher manifestiert. Wir stehen an einem Scheideweg, an dem das Fortbestehen unserer Zivilisation, wie wir sie kennen, maßgeblich von unserem Handeln in den kommenden Jahren abhängt. Seit der industriellen Revolution hat der Mensch durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe immense Mengen an Treibhausgasen in die Atmosphäre freigesetzt. Diese Gase, insbesondere Kohlendioxid, wirken wie eine Decke, die die Wärme auf der Erde einschließt und so zu einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur führt. Die Folgen sind längst nicht mehr Zukunftsmusik: Extreme Wetterereignisse nehmen an Häufigkeit und Intensität zu, Meeresspiegel steigen, Ökosysteme kollabieren, und unzählige Arten sind vom Aussterben bedroht. Was die Situation so prekär macht, ist die Trägheit des Klimasystems. Selbst wenn wir heute alle Emissionen auf Null reduzieren, würden die bereits freigesetzten Treibhausgase noch über Jahrzehnte und Jahrhunderte in der Atmosphäre verbleiben und ihre Wirkung entfalten. Das bedeutet, dass wir nicht nur die zukünftige Erwärmung begrenzen müssen, sondern auch mit den bereits eingetretenen Veränderungen umgehen müssen.
» Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit,
denn jede Tonne CO2, die wir heute noch ausstoßen,
zementiert die Probleme von morgen. «
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind eindeutig und alarmierend. Der Weltklimarat (IPCC) warnt seit Jahren eindringlich vor den Kipppunkten – Schwellenwerten, ab denen bestimmte
Klimaprozesse unumkehrbar werden, wie etwa das Abschmelzen großer Eisschilde, oder das Auftauen von Permafrostböden, die enorme Mengen Methan freisetzen würden.
Darüber hinaus ist die Atlantische Umwälzströmung, die Wärme vom Äquator in Richtung Nordatlantik transportiert durch den Klimawandel geschwächt und mittlerweile an einer kritischen Schwelle. Sie ist eines der wichtigsten Zirkulationssysteme der Erde und für die milden Temperaturen in Europa von entscheidender Bedeutung. Ihr Zusammenbruch hätte schwerwiegende Folgen, vor denen auch Prof. Rahmstorf (PIK) immer wieder eindringlich warnt. Der Eintrag von immer mehr Schmelzwasser könnte die AMOC sogar zum Stillstand bringen, was weitere Kaskadeneffekte und erhebliche Auswirkungen auf das Weltklima haben würde. Erreichen wir diese Kipppunkte, könnten sich die Veränderungen exponentiell beschleunigen und die menschlichen Anpassungsfähigkeiten übersteigen.
Dabei wächst der Druck zum Handeln immer weiter. Einerseits eskaliert die Klimakrise etwa bei Extremwettern wie Hitzewellen oder Starkregen und Milliardenschäden, wie neu vorgelegte Studien bei der Vorbereitung zur nächsten Weltklimakonferenz nahelegen. Gleichzeitig fehlt es bisher an effektiven Klimaplänen (NDCs) der UN-Staaten – auch die EU ist in Verzug. Viele von ihnen bauen die Gas- und Ölproduktion aus, statt sie zu reduzieren. Und auch im UN-Prozess türmen sich vor der COP30-Präsidentschaft Brasiliens in Belém die Probleme: Bisher haben nur 22 Staaten Klimapläne abgeliefert. Es gibt keinen Konsens, wie der beschlossene Ausstieg aus den Fossilen aussehen soll. Und völlig unklar ist, wie die versprochenen Klimahilfen bis 2035 auf 1,3 Billionen Dollar anwachsen sollen.
Die gute Nachricht
Wir haben noch eine Chance. Die Technologien zur Energiewende sind vorhanden, und das Bewusstsein in weiten Teilen der Bevölkerung wächst. Es geht nicht mehr darum, ob wir handeln, sondern wie schnell und entschlossen wir handeln, um die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels noch abwenden und eine lebenswerte Zukunft für kommende Generationen sichern.
Die Geschichte wird darüber urteilen wie wir uns heute entscheiden – für kurzfristige Profitmaximierung oder für Nachhaltigkeit. Doch solange Nachhaltigkeit mit Profitinteressen konkurrieren muss, gewinnt immer das Geld.
Geht Klimawende im Kapitalismus?
Der moderne Kapitalismus, angetrieben von fossiler Energie und immerwährendem Wachstum, ist direkt verantwortlich für die Klimakrise. Gewinne zählen in diesem System mehr als gesellschaftlicher
Nutzen. Die Natur wurde über zwei Jahrhunderte hinweg systematisch ausgebeutet – kostenlos, denn sie taucht im marktwirtschaftlichen Rechnungssystem schlichtweg nicht auf. Bisherige
Lösungsvorschläge bleiben weitgehend im Rahmen des monetären Geldsystems: CO2-Bepreisung und regulierte Märkte sollen das Defizit ausgleichen – doch Studien
zeigen: Ohne Systembruch reicht das kaum aus. Denn solange es höhere Rendite abwirft, in fossile Energien zu investieren als in erneuerbare, wird das wohl auch passieren
Was heißt das? Ein Wirtschaftssystem, das seit über 200 Jahren ausschließlich Richtung Ausbeutung kennt, kann nicht plötzlich Klimaretter werden. Reformen wie ein CO2-Preis sind selbstverständlich nicht komplett wirkungslos, doch es gibt Zweifel ob der CO2-Preis alleine die Klimakrise aufhalten
kann. Was wir brauchen ist ein neues Zeitalter. Keine Flickschusterei.
Wettbewerb mit planetaren Leitplanken versus demokratisch geplante Ökonomie
Eine echte Transformation braucht mehr als nur die Verteuerung unseres Konsums und Appelle an Einschränkung und Verzicht, sie erfordert eine mutige Systemalternative. Bereits seit den 1990er Jahren wird das Prinzip persönlicher Kohlenstoffbudgets thematisiert. Vor allem Prof. Schellnhuber (Gründer und ehem. Direktor PIK) brachte das Thema immer wieder in die Diskussion. Jedoch existierte bislang kein Konzept dafür, wie ein Emissionshandel auf Bürgerebene umgesetzt werden könnte. Mit dem Modell der Klimawährung ECO (Earth Carbon Obligation) hat die Non-Profit Organisation für nachhaltige Ökonomie SaveClimate.Earth nun einen Lösungsansatz entwickelt, wie Personal Carbon Trading mittels einer komplementären Kohlenstoff-Ressourcenwährung initial auf EU-Ebene eingeführt werden könnte.
Weiterführende Informationen dazu unter:
- „Exit-Strategie Klimawährung ECO, mit persönlichen Emissionsbudgets das Klimaziel erreichen“, Jens & Angela Hanson, Oekom-Verlag, 2023
- Die Klimawährung ECO von A bis Z: Interview von Dr. Alexandra Hildebrandt mit Angela Hanson, in XING, 23.8.24,
- Modell und Wirkweise der Klimawährung ECO, von Dr. Alexandra Hildebrandt, in XING 20.08.2024
- Webseite Non-Profit Organisation für nachhaltige Ökonomie SaveClimate.Earth: www.saveclimate.earth